Das Bardet-Biedl Syndrom kurz und knapp...

Was ist das Bardet-Biedl Syndrom (BBS)?

Das Bardet-Biedl Syndrom (BBS) ist eine seltene, genetische Erkrankung, die autosomal-rezessiv vererbt wird. Die Eltern sind in der Regel gesund und tragen nur auf einer der beiden Genkopien eine Mutation. Nur wenn beide Elternteile dem Kind das mutierte BBS-Gen vererben, tritt die Krankheit beim Kind auf. Man geht davon aus, dass zirka 1:150.000 Personen betroffen sind. Derzeit sind 26 unterschiedliche Gene bekannt, die BBS verursachen können. Die BBS-Gene 1, 7 und 10 kommen weltweit am häufigsten vor.

Welche Symptome sind bekannt?

BBS ist komplex und die Symptome variieren stark, selbst unter Geschwistern. Es ist bisher noch nicht sicher möglich, den einzelnen Genveränderungen bestimmte Krankheitssymptome zuzuordnen. Jeder Betroffene ist anders. Deshalb ist eine individuelle Behandlung erforderlich.


Hauptkriterien

  • Netzhautdystrophie
  • Postaxiale Polydaktylie
  • Adipositas
  • Nierenanomalien
  • Lernschwierigkeiten
  • Genitale Fehlbildungen

Nebenkriterien

Als Nebenkriterien gelten Sprach- und globale Entwicklungsverzögerungen, Zahnanomalien inklusive Zahnfehlstellungen, Brachydaktylie, Syndaktylie, Koordinationsstörungen inklusive Ataxie, milde Hypertonie, Diabetes mellitus, kardiovaskuläre Anomalien wie z.B. Klappenstenosen, Leberfibrose, kraniofaziale Dysmorphien inklusive hohem Gaumen, Morbus Hirschsprung, Anosmie, Strabismus, Astigmatismus oder Katarakt.

Diagnostik

Nierenauffälligkeiten und Polydaktylie sind Symptome, die häufig bereits pränatal oder bei der Geburt erkannt werden. Weitere Symptome wie beispielsweise die Netzhautdegeneration treten erst im späteren Verlauf in Erscheinung. Wenn mindestens vier der Hauptsymptome vorliegen oder drei der Haupt- und zwei der Nebensymptome kann die klinische Diagnose BBS gestellt werden. Die Diagnose sollte auf jeden Fall durch einen Gentest bestätigt werden. Insbesondere für Therapieoptionen, die zurzeit erforscht werden, ist es wichtig zu wissen, welches Gen betroffen ist. In der Schweiz kann es bis zu 6 Monate dauern, bis die Analyseresultate vorliegen. Zudem lehnt die IV den Antrag auf Vergütung des Gentests oft in erster Instanz ab. Sobald die Diagnose feststeht, sollte der Betroffene in das nationale Register für seltene Erkrankungen eingetragen werden.

Was ist über den zugrunde liegenden Mechanismus bekannt?

BBS ist eine Ziliopathie. Zilien sind haarähnliche Gebilde, die auf beinahe allen menschlichen Zellen zu finden sind. Man unterscheidet zwischen beweglichen und unbeweglichen Zilien. Letztere nennt man auch primäre Zilie. Mittlerweile ist gut belegt, dass das primäre Zilium als „sensorische Antenne“ der Zelle dient. BBS-Gene führen zu Veränderungen in Proteinen, die wichtig für die Struktur und Funktion sogenannter primärer Zilien sind. Es kommt zu einer Fehlfunktion der primären Zilien. Da primäre Zilien in fast allen Geweben des Körpers vorkommen, sind oft mehrere Organe von der Störung betroffen. 

Wie sieht die Therapie aus?

Es gibt zurzeit keine ursächliche Therapie für BBS. Es wird jedoch intensiv geforscht. BBS kann mehrere Organe betreffen. Deshalb ist ein multidisziplinärer Therapieansatz erforderlich. Wichtig ist ein regelmäßiges Screening sämtlicher potenziell betroffener Organsysteme.


Adipositas: Neuste Untersuchungen haben gezeigt, dass Adipositas bei Bardet-Biedl Syndrom auf ein fehlendes Sättigungsgefühl zurückzuführen ist. Diese Erkenntnisse führten zur ersten zielgerichteten Therapieoption für BBS-Patienten. Der Wirkstoff Setmelanotid wird täglich mit einer Spritze verabreicht. Falls der Patient gut auf den Wirkstoff anspricht führt dies zu einer deutlichen Verbesserung der Stoffwechselfunktion und damit zu einer Verbesserung der gesundheitlichen Prognose. Viele Patienten berichten zudem über eine deutlich bessere Lebensqualität. In der EU ist das Medikament bei Kindern ab 6 Jahren zugelassen.


Netzhautdegeneration: Gegen die fortschreitende Netzhautdegeneration stehen bisher keine Therapien zur Verfügung. Es wird jedoch intensiv geforscht. Bislang stehen die ophthalmologische Hilfsmittel (z.B. Kantenfiltern bei Blendeempfindlichkeit) sowie Low Vision Beratung im Vordergrund.


Nieren: Die nephrologische Versorgung umfasst die Überwachung der Nieren, inklusive Blut-, Urin- und Sonographieuntersuchungen.


Entwicklungsverzögerung: Fördermaßnahmen sollten je nach Bedarf möglichst frühzeitig eingeleitet werden (Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie, psychosozialen Interventionen).

Gibt es in der Schweiz spezielle Zentren zur Behandlung von BBS?

Nein – in der Schweiz gibt es keine spezialisierten Zentren zur Behandlung des Bardet-Biedl Syndroms. Es empfiehlt sich, ein Zentrum für seltene Krankheiten aufzusuchen. In der Schweiz gibt es neun Zentren für seltene Krankheiten:


  • Aarau: Zentrum für seltene Krankheiten (CRD) des Kantonsspital Aarau AG
  • Basel: Universitätszentrum für seltene Krankheiten Basel
  • Bern: Zentrum für seltene Krankheiten Inselspital
  • Genf: Centre des maladies rares Hôpitaux universitaires de Genève
  • Lausanne : Centre maladies rares Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
  • Luzern : Zentrum für seltene Krankheiten am Luzerner Kantonsspital (LUKS)
  • St. Gallen: Ostschweizer Zentrum für seltene Krankheiten (ZSK-O)
  • Tessin: Centro Malattie Rare della Svizzera Italiana (CMRSI)
  • Zürich : Zentrum für seltene Krankheiten Zürich

Quellen: 

  1. Cetiner, M., Pape, L., König, J. et al. Das Bardet-Biedl-Syndrom. Monatsschr Kinderheilkd (2024). https://doi.org/10.1007/s00112-024-02030-7

  2. Dollfus, H., Lilien, M.R., Maffei, P. et al. Bardet-Biedl syndrome improved diagnosis criteria and management: Inter European Reference Networks consensus statement and recommendations. Eur J Hum Genet 32, 1347–1360 (2024). https://doi.org/10.1038/s41431-024-01634-7